SOEP-CoV Spotlight #2

Ergebnisbericht, Version: 05 Juni 2020

Familienleben im Lockdown

von Stefan Liebig

Die im Zuge der Corona-Krise verordneten Maßnahmen haben sich auch auf das Leben der Familien hierzulande ausgewirkt. Es liegt auf der Hand, dass die reduzierten Besuchs- und direkten Kontaktmöglichkeiten von Familienmitgliedern und Freunden während des Lockdowns vor allem allein lebende Personen stark getroffen haben. Doch auch Mehrpersonenhaushalte sind durch die Schließungen von Betreuungseinrichtungen von Kindern oder das Wegbrechen von Pflegeangeboten für pflegebedürftige Familienmitglieder mit einer neuen Situation konfrontiert gewesen. Die Situation in den Familienhaushalten ist dabei—zumindest anekdotisch—durchaus ambivalent. Auf der einen Seite ist die neue „Enge“ belastend, insbesondere wenn die Wohnsituation keine ausreichenden räumlichen Rückzugsmöglichkeiten zulässt. Auf der anderen Seite bedeutet die Eindämmung des öffentlichen Lebens auch, dass Familien nun mehr Zeit miteinander verbringen können und damit möglicherweise auch das, was man als „quality time“ bezeichnet.

Auch bezüglich des Familienlebens gilt: Sowohl negative als auch positive Folgen treffen nicht alle in gleicher Weise. Zum Beispiel werden Familien mit Homeoffice in einer großzügigen Wohnung den Lockdown möglicherweise besser verkraften als andere in beengten Wohnverhältnissen mit beiden Eltern auf Kurzarbeit oder in systemrelevanten Berufen. Dazu kommt, dass derzeit anerkannte Forscherinnen befürchten, dass in der Krise die traditionellen Geschlechtsmuster verstärkt werden.

Um diese Situation genauer einschätzen zu können, wird aktuell eine telefonische Befragung der Längsschnittstudie Sozio-oekonomisches Panel durchgeführt (www.soep-cov.de). Das besondere dieser Studie ist, dass solche Haushalte befragt werden, über die sehr vielfältige Informationen über ihre Lebenssituation in den vergangenen Jahren bereits vorliegen–dies reicht zum Teil bis ins Jahr 1984. Damit lassen sich die Veränderungen durch die aktuelle Situation sehr genau nachvollziehen und in ihrer Tragweite einschätzen. Dies gilt auch mit Blick auf die Zufriedenheit mit dem Familienleben.

Wie wirkt sich der Lockdown auf die Zufriedenheit mit dem Familienleben aus?

Vergleicht man die Angaben aus dem Jahr 2019 mit denen im April 2020—also mitten im „Lock-down“—so sieht man, dass die Zufriedenheit mit dem Familienleben insgesamt abgenommen hat. Während der Mittelwert im Jahr 2019 auf einer Skala von 0 bis 10 bei 7,8 lag, liegt er im April 2020 bei 7,5. Dass dies ein bemerkenswerter Unterschied ist, kann man durch einen Vergleich der Schwankungen über die letzten Jahre in der folgenden Abbildung sehen: Die Werte seit 2015 waren weitgehend konstant und variierten eher auf der zweiten Nachkommastelle.

Doch die entscheidende Frage ist: Trifft dies für alle Personen in gleicher Weise zu? Dabei interessieren uns im Folgenden vor allem die Veränderungen bei den aktuell erwerbstätigen Personen. Sie sind es, die besonderen Belastungen in der Corona-Krise ausgesetzt sind, sei es, weil sie neben ihrer Erwerbstätigkeit Kinder und andere Angehörige zuhause betreuen müssen, weil sie durch das Homeoffice veränderte Arbeitsbedingungen in Kauf nehmen müssen oder weil ihnen als Selbstständige die Einnahmen wegbrechen.

Für die folgenden Analysen werden deshalb nur die Veränderungen der Zufriedenheit mit dem Familienleben für aktuell erwerbstätige Personen betrachtet. Die nachfolgende Abbildung gibt die Ergebnisse eines Regressionsmodells wider, in dem wir die Veränderung der Zufriedenheit mit dem Familienleben von 2019 auf 2020 für einzelne Merkmale schätzen. Wiedergegeben ist die mittlere Veränderung der Familienzufriedenheit, die sich nach Kontrolle einer Reihe von anderen Merkmalen jeweils ergeben (marginale Effekte). Negative Werte bedeuten, dass sich bei Vorliegen des jeweiligen Merkmals die Zufriedenheit mit dem Familienleben um den jeweiligen Betrag im Mittel verringert, der Wert Null beschreibt keine Veränderung und positive Werte eine Zunahme der Zufriedenheit (wobei die Skala von -2,4 bis +2,4 reicht).

Insgesamt beobachten wir bei 38% der erwerbstätigen Befragten einen Rückgang, bei 39% keine Veränderung und bei 23% eine Zunahme der Zufriedenheit mit dem Familienleben. Die Veränderung der Zufriedenheit mit dem Familienleben in der Phase des Lockdowns (April 2020) ist bei Singlehaushalten im Vergleich zu Mehrpersonenhaushalten am stärksten. Alleinlebende Personen sind erwartungsgemäß am stärksten von den Kontakteinschränkungen betroffen. In Haushalten mit Kindern ist dieser Rückgang der Zufriedenheit mit dem Familienleben nicht zu beobachten. Dies gilt jedoch nicht generell. Denn in Haushalten mit Schulkindern leidet offenbar das Familienleben an der durch Schulschließungen hervorgerufen neuen Familiensituation. Dass dabei auch die räumlichen Bedingungen eine Rolle spielen, zeigen die Effekte der Wohnungsgröße auf die Zufriedenheit mit dem Familienleben. Den stärksten Rückgang der Zufriedenheit mit dem Familienleben ist bei Wohnungsgrößen bis 3 Zimmer zu beobachten. Diejenigen Erwerbstätigen, die in größeren Wohnungen (vier und mehr Zimmer) wohnen zeigen deutlich geringere Einbußen in der Zufriedenheit mit dem Familienleben. Wer im Homeoffice tätig ist, berichtet tendenziell ebenfalls eine geringere Zufriedenheit mit dem Familienleben. Dies gilt aber insbesondere für Personen, die alleine in einem Haushalt wohnen. Eine Tätigkeit im Homeoffice führt also gerade bei Alleinwohnenden zu einem Zufriedenheitsverlust mit dem Familienleben. Dies gilt in gleicher Weise für Selbstständige. In beiden Hinsichten wirken sich die Veränderungen in der Erwerbssphäre offenbar unmittelbar auf die Zufriedenheit mit dem Familienleben aus. Schließlich berichten auch Frauen ein deutlich geringeres Niveau der Zufriedenheit mit dem Familienleben als die Männer. Da wir allein aktuell erwerbstätige betrachten, spiegeln sich hierin die Doppelbelastung von Haushalts- bzw. Familienarbeit und Erwerbstätigkeit wider, von der insbesondere Frauen am stärksten betroffen sind.


Fazit:

Unsere Analysen verweisen darauf, dass die Corona-Krise gerade bei Familien mit Kindern durchaus im Vergleich zum Vorjahr als weniger belastend erfahren wird. Zugleich haben Erwerbstätige, die in Einpersonenhaushalten leben und zudem noch im Homeoffice arbeiten, die stärksten Einschränkungen im Familienleben zu verkraften. Möglicherweise empfinden Alleinlebende im Homeoffice besonders als einsam und sie wünschen sich mehr Kontakte mit Familienangehörigen. Dies verweist auch darauf, dass Arbeiten im Homeoffice durchaus ambivalent ist, weil es gerade bei allein lebenden Erwerbstätigen möglicherweise zu Gefühlen der Isolation und der Einsamkeit führen kann–es fehlen hier eben die direkten Interaktions- und Kontaktmöglichkeiten die der Arbeitsplatz bietet. Und auch mit Blick auf die Zufriedenheit mit dem Familienleben treten klassische Ungleichheitsmuster jenseits des Einkommens zutage: Wer in einer größeren Wohnung leben kann empfindet den Lockdown weniger belastend für das Familienleben. Das gleich gilt für Männer, denen der Lockdown offenbar weniger zu schaffen macht— insbesondere was die Bewertung des Familienlebens anbelangt—als Frauen.

Anmerkungen: (i) Daten: SOEP-CoV Tranche 1-3, 2,465 Befragte, gewichtete Ergebnisse, Berichtet werden marginale Effekte auf der Grundlage eines linearen Regressionsmodells (weitere Kovariaten: Ost/West, Alter, Resilienz, Zufriedenheit mit dem Familienleben im Jahr 2019. (ii) In der Abbildung zu den Ergebnissen der Regression sind nur signifikante Effekte dargestellt: + p<.10, * p<.05, ** p<.01, ***p<.001. (ii) Die Veränderungswerte der Familienzufriedenheit werden als logarithmierte Differenzen der Zufriedenheitswerte von 2019 und 2020 errechnet. Die Zufriedenheitswerte zu den beiden Zeitpunkten werden jeweils über eine 11-Skala (0 überhaupt nicht zufrieden bis 10 sehr zufrieden) gemessen.

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